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Fehlanreize erschweren integrierte Versorgung

Liestal, 18. Juni 2025

Psychiatrie, Prävention sowie Angebote für Wohnen und Arbeit sollten besser vernetzt sein, damit Patientinnen und Patienten bedarfsgerechter versorgt werden können. Nachteilig wirken sich auch finanzielle Fehlanreize aus. Was getan werden müsste für mehr integrierte psychiatrische Versorgung - darüber haben Fachleute an der Jahrestagung der Psychiatrie Basel diskutiert.

Die Fallzahlen in der Psychiatrie nehmen seit Jahren zu. Ebenso die Behandlungskosten. Gleichzeitig sind die verschiedenen Behandlungssettings stationär, ambulant, tagesklinisch, oder aufsuchend oft immer noch zu wenig aufeinander abgestimmt. Diese mangelnde Integration der Versorgungsbereiche führt zu Brüchen in Behandlungsverläufen. Besonders problematisch sei dies "bei komplexen Krankheitsbildern oder vulnerablen Gruppen, etwa bei Jugendlichen mit Mehrfachdiagnosen oder Erwachsenen ohne soziales Netz", sagte Professor Jochen Kindler an der Jahrestagung der PBL in Liestal.

Ein Widerspruch im System

Nachteilig für eine bedarfsgerechte Versorgung, so der Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie der PBL, sei auch das aktuelle Finanzierungssystem. Dieses begünstigt aufgrund besserer Abgeltung stationäre Therapien und benachteiligt die ambulante und tagesklinische Behandlung, die seit Jahren unterfinanziert sind. Das widerspricht dem Behandlungsprinzip "ambulant vor stationär". Zudem müssten sich psychiatrische Institutionen zunehmend mit sozialpolitischen Anliegen befassen. Als Beispiel nannte Jochen Kindler Klinikaufenthalte von Menschen mit chronischen psychischen Erkrankungen, die keine Wohnperspektive haben.

Alte Forderungen immer noch nicht erfüllt

Die Ambulantisierung sei ein jahrzehntealtes Paradigma, sagte Professor Matthias Jäger, Direktor Erwachsenenpsychiatrie der PBL. Die Versorgung sei aber immer noch stark stationär geprägt. Dabei wäre es nötig, mehr ambulante und intermediäre (Tageskliniken, Home Treatment) Angebote aufzubauen. Matthias Jäger wies auf einen Bericht des Bundesrates von 2016 hin. Darin wird unter anderem eine "nachhaltige Finanzierung der intermediären Angebotsstrukturen" empfohlen. In den letzten fast zehn Jahren sei aber wenig umgesetzt worden, meinte Matthias Jäger. Seit der Pandemie kommen auch immer wieder Menschen in die Psychiatrie, deren Lebensprobleme auch anderswo gelöst werden könnten.

Matthias Jäger stellt für die Nordwestschweiz eher eine psychiatrische Fehl- statt Unterversorgung fest und wünscht sich unter anderem eine Verpflichtung der Leistungserbringer zur integrierten Versorgung, Anreize für ambulante und intermediäre Behandlungen und die Beseitigung von Fehlanreizen in der Finanzierung.

Wie integrierte Versorgung aussehen kann

Ein Beispiel für integrierte Versorgung lieferte Professor Anne Karow von der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf. Hier besteht seit einigen Jahren das Projekt "Recover" für eine settingübergreifende, koordinierte und auf den Schweregrad abgestufte Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Im Recover-Modell wurden auch digitale Therapieverfahren integriert. Als positive Ergebnisse des Projektes nannte Anne Karow eine deutlich verbesserte psychosoziale Gesundheit der Patientinnen und Patienten, eine höhere Zufriedenheit der Betroffenen und Angehörigen, eine Reduktion der Behandlungskosten sowie eine starke Zunahme der ambulanten Leistungen und eine Reduktion der stationären Aufenthalte.

Erfahrungen aus der Praxis

Die Teilnehmenden der Jahrestagung liessen sich von weiteren Fachpersonen über die gesellschafts- und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen der psychiatrischen Versorgung informieren. Professor Peter Brieger, ärztlicher Direktor der kbo-Isar-Amper-Klinik in München, sprach über regionale Globalbudgets als Finanzierungsmodell mit Chancen und Risiken. Dr. Lieselotte Mahler, Chefärztin bei den Kliniken im Theodor-Wenzel-Werk Berlin, äusserte sich zum ordnungspolitischen Auftrag der Psychiatrie, udn Professor Michael Kaess, Direktor und Chefarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern, referierte über neue Versorgungsformen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Was braucht es für eine gute psychosoziale Versorgung der Patientinnen und Patienten aus Sicht der Betroffenen? Darüber haben die Gäset mehr von Dr. Elke Prestin erfahren, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei den Johanniter-Kliniken im norddeutschen Hamm.

Verlagerung in Tageskliniken

Über die Entwicklungsperspektiven der Psychiatrie im Kanton Basel-Landschaft und in der Gemeinsamen Gesundheitsregion sprach Michael Steiner vom Amt für Gesundheit Baselland. Er erläuterte die Versorgungsplanung und das Rahmenkonzept "Gesundheit BL 2030", welche einen Abbau stationärer Pflegetage und eine Verlagerung in intermediäre Settings vorsehen. Dieser Berreich sei allerdings noch nicht abschliessend geregelt.

Klare Aufträge an die Psychiatrie

An einer Podiumsdiskussion tauschten sich Referentinnen und Referenten mit dem Publikum zu versorgungs- und gesellschaftspolitischen Fragen aus. Teilnehmer war auch Dr. Thomas Heiniger, Präsident des Verwaltungsrats der PBL und ehemaliger langjähriger Gesundheitsdirektor des Kantons Zürich. Die Psychiatrie müsste sich strategisch weiterentwickeln als vernetztes Versorgungssystem über alle Behandlungs-Settings hinweg, sagte er. Dazu brauche es den politischen Willen und die gesellschaftliche Überzeugung. "Auch wir müssen uns klar werden, wofür wir die beschränkten finanziellen Mittel einsetzen wollen". Und: "Die Psychiatrie braucht einen klaren Auftrag, welche Leistungen sie erbringen muss und wofür sie nicht verantwortlich sein kann", ist Thomas Heiniger überzeugt.

Kontakt
Prof. Dr. med.
Matthias Jäger
Direktor Erwachsenenpsychiatrie,
Chefarzt Privatklinik