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«Der Aufenthalt in der Klinik kann im Notfall Leben retten»

Lara Riedo, zuständige Therapeutin, mit Rainer Wälti, Patient in der PBL.

Rainer Wälti wollte nicht mehr leben. Das war im Winter 2023. Heute erzählt er offen über seinen positiven Aufenthalt in der Psychiatrie Baselland und möchte das Stigma gegenüber Psychiatrien brechen.

Im Winter 2023 schrieb Rainer Wälti (Name geändert) seiner Frau eine WhatsApp-Nachricht, die für den Weiterverlauf seines Lebens entscheidend werden sollte. Rainer Wälti stand nämlich kurz vor einem Suizidversuch. Seine Frau reagierte «glücklicherweise genau richtig», wie er heute sagt. Zusammen gingen sie direkt zur Psychiatrie Baselland (PBL).

Für den 59-jährigen war zu diesem Zeitpunkt klar: «Ich muss hierbleiben». Er trat zur Behandlung in die PBL ein. Das psychiatrische Umfeld kannte er noch nicht, und seine Gefühle der Klinik gegenüber waren «gemischt», erzählt Wälti. Er wusste jedoch: «Ich brauche Hilfe». Diese Hilfe bekam er in der PBL.

Zeit für sich haben

Die ersten paar Tage benötigte Rainer Wälti Zeit für sich, die er auch erhielt. Wirklich aufnahmefähig war er ohnehin nicht. Er nutzte die Stunden, um seine Gedanken zu sortieren, indem er alles niederschrieb, was ihm gerade durch den Kopf ging. Rückblickend erscheinen die geschriebenen Seiten eher «wirr». Sie zeigen aber die Gefühlslage, die er empfand. Zudem stellte er eine positive Entwicklung fest: «Die Seiten wurden immer weniger schnell gefüllt und das Bild in meinem Kopf klarer», äussert Wälti.

«Die Pausentaste drücken»

Rainer Wälti merkte schnell: «Viele Menschen haben ein falsches Bild von Psychiatrien» – auch er gehörte zu ihnen. Er liess sich jedoch rasch auf das Behandlungsteam, das therapeutische Angebot und die räumliche Umgebung ein. Vor allem gegenüber den kreativen Therapien war er zunächst skeptisch eingestellt, aber nach Gesprächen mit seinem Zimmernachbarn besuchte er schliesslich die Ergotherapie im Atelier. Dieser Therapieansatz gefiel ihm besonders gut, da er «einfach mal nicht bewertet wurde» und «nichts abliefern» musste. «Für mich war es, wie die Pausentaste zu drücken», meint er rückblickend.

Nicht nur die einzelnen Therapieangebote wie Pilates, Yoga oder eben der kreative Ansatz halfen Wälti, sondern auch der Austausch mit dem Pflegepersonal und die psychotherapeutischen Gespräche. «Die Mitarbeitenden nahmen sich viel Zeit», was Wälti sehr zu schätzen wusste.

Klare Kommunikation

Rainer Wälti gestaltete sich seine Woche mit einem vielseitigen Programm. Gemeinsam mit dem Team wurde dabei auf die Belastungsgrenzen geschaut und «es bestand immer die Möglichkeit, etwas abzusagen oder nicht zu machen», erzählt er. Alles sei freiwillig gewesen, «und das wurde auch klar kommuniziert». Was Wälti ebenfalls schätzte: Die Besuchsmöglichkeit für seine Angehörigen. Diese konnten die Räume besichtigen und mit den Mitarbeitenden sprechen. Der Einbezug der Familie sei für viele Patientinnen und Patienten hilfreich, meint Lara Riedo, zuständige Therapeutin von Rainer Wälti. «Das Angebot ist immer da, dieses zu nutzen wird aber nicht forciert», versichert sie.

Bei der Behandlung in der Psychiatrie Baselland konnte Rainer Wälti seine Bedenken und Wünsche äussern, wie zum Beispiel bei den Medikamenten. Er wusste durch vorherige Therapien, was er gut verträgt und wollte bekannte Präparate nehmen. Bei der Dosierung respektierte seine zuständige Ärztin seine Anliegen, wie er erzählt.

«Werkzeuge» für zuhause

Drei Monate lang war Wälti stationär in der PBL, danach noch drei Wochen als Tagespatient. In dieser Zeit bekam er Hilfsmittel für den Alltag oder «Werkzeuge», wie er sie nennt. Durch den Aufenthalt konnte er viel über sich erfahren und lernte, wie er mit seinen Werkzeugen arbeiten muss. Ihm half aber auch der langsame Wiedereinstieg in den Alltag, denn durch die angebotene Struktur konnte er seinen Alltag «üben». So wurden mit ihm im Verlauf der Behandlung zunehmend Aufenthalte und Übernachtungen zuhause geplant.

Respekt vor der Rückkehr nach Hause

Rainer Wälti hatte keine Angst, nach dem Klinikaustritt wieder nach Hause zu kommen, aber «eine Portion Respekt». Nicht nur er musste sich wieder neu an das gemeinsame Zuhause-Sein gewöhnen, sondern auch seine Familie. «Drei Monate Klinikaufenthalt hinterlassen etwas, und man verändert sich», meint Wälti. Auf seine neu gewonnenen Perspektiven und Strategien reagierte seine Familie positiv. Er kam auch immer wieder gern auf die Abteilung zurück. «Der stationäre Aufenthalt war wie eine kleine Auszeit vom Alltag», sagt er.

Blick in die Zukunft

Mit der Behandlung in der Psychiatrie ist der Weg zur Genesung nicht abgeschlossen. Auch nach dem Klinikaufenthalt wird Rainer Wälti psychotherapeutische Unterstützung wahrnehmen, damit er seine «Werkzeuge» weiterhin nutzen kann.

Der langsame Einstieg in die Arbeitswelt sei ebenso aufgegleist. «Mein Arbeitgeber unterstütz mich sehr», sagt er. «Offenheit, Verständnis und ein bewusster Umgang mit Erwartungsdruck seitens Arbeitgeber sind hilfreich im Heilungsprozess», fügt Lara Riedo an.

Vorurteile abbauen

Durch das Gespräch mit Wälti wird klar, wie wichtig es für ihn ist, das Stigma zu brechen, von dem das Bild der Psychiatrie noch immer geprägt ist – nicht nur in seinem Umfeld, sondern auch gegenüber anderen Personen. Lara Riedo: «Alle, auch schwere Gefühle gehören zum Menschsein dazu. Kommt man jedoch in eine Krise, dann ist es wichtig zu wissen, dass man professionelle Unterstützung nehmen darf».

Heute hegt Rainer Wälti keine Vorurteile mehr gegenüber der Psychiatrie. Er spricht offen über seinen Aufenthalt in der PBL, der ihm in guter Erinnerung ist. «Wenn ich auch nur einer Person mit meinem realistischen Bild von der PBL die Hemmungen nehmen kann, dann ist das ein Erfolg; «denn der Aufenthalt in der Klinik kann im Notfall Leben retten».