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Was Psychiatrie zu bewirken vermag und was nicht

Psychisch erkrankte Menschen können viel dazu beitragen, wieder mehr Lebensqualität zu bekommen oder gar geheilt zu werden. Wichtig ist, dass sie in die Therapie einbezogen und ihre Sicht auf ihre Erkrankung thematisiert wird. Die Psychiatrie Baselland hat sich an der Jahrestagung den gesellschaftlichen und individuellen Aufträgen an die Psychiatrie gewidmet. 
 

Liestal, 10. Mai 2021

Die eigene Sicht der Patientinnen und Patienten müsse in der Therapie von Menschen mit psychischen Problemen im Zentrum stehen. Die Therapierenden müssten sich damit auseinandersetzen, eine Haltung entwickeln und diese selbstkritisch reflektieren. Diese Worte von PD Dr. Matthias Jäger, Direktor Erwachsenenpsychiatrie, standen leitmotivisch für das Thema der diesjährigen Jahrestagung der Psychiatrie Baselland (PBL), die aufgrund der Pandemie online durchgeführt wurde.

Gemeinsam und auf "Augenhöhe"

Matthias Jäger berief sich auf die Uno-Behindertenrechtskonvention, der die Schweiz 2014 beigetreten ist. Diese verlangt unter anderem, Menschen mit psychischen Krankheiten auf Augenhöhe zu behandeln und sie darin zu unterstützen, am öffentlichen Leben teilhaben zu können. Für Matthias Jäger bedeuten diese Grundsätze, psychisch kranken Menschen möglichst viel Autonomie einzuräumen, sie genau gleich wie andere Menschen zu behandeln und Erfahrungswissen in der Therapie mehr Gewicht zu geben.

"Wir müssen uns auch überlegen, wie sich das alles auf die künftigen psychiatrischen Angebote auswirkt. Wir müssen ein Wertesystem und eine Grundhaltung definieren, was Psychiatrie in der heutigen Zeit für die Gesellschaft und die Betroffenen ausmachen soll", sagte er den rund 170 Zuhörerinnen und Zuhörern aus Wissenschaft und klinischer Praxis, die dem Online-Event zugeschaltet waren.

Die Grenzen der Psychiatrie

Auf die Schwierigkeiten, sich als Therapierende in die Patientinnen und Patienten hineinzudenken, kam PD Dr. med. Dr. phil. Daniel Sollberger zu sprechen, stellvertretender Direktor Erwachsenenpsychiatrie der PBL. Das beginnt schon bei der Doppeldeutigkeit von Symptomen, wenn etwa ein Patient eine affektive Störung (z.B. eine Manie) als Hochgefühl erlebt, derweil der Psychiater darin eine zu behandelnde Störung sieht.

Daniel Sollberger wies auch auf die Grenzen und Endlichkeit der Psychiatrie hin. Augenhöhe zwischen Patient und Therapeut bedeute zu respektieren, "dass wir eine Welt auch nicht verstehen können", nämlich die Welt des Patienten oder der Patientin, "und dass es Frustrationen in der Therapie geben wird".

Sicht von Betroffenen

Konsequent aus Sicht der Patientinnen und Patienten zu denken, forderte die Pflege-Expertin Regula Lüthi, die über die Bedeutung der psychiatrischen Pflege referierte. Sehr hilfreich in der Therapie sind in den letzten Jahren die Genesungsbegleiterinnen und -begleiter geworden. Das sind Menschen mit eigener Erfahrung mit psychischer Erkrankung und psychiatrischer Behandlung, welche die Sicht der Betroffenen in die psychiatrische Therapie einbringen. Eine von ihnen ist Gwen Schulz, die über ihre langjährige Arbeit als Genesungsbegleiterin (Peer) berichtete. Sie habe gelernt, dass Patientinnen und Patienten oft viel stärker seien als Therapierende meinen. Peers seien nicht nur für Betroffene ein Beispiel dafür, dass Krisen überwindbar seien und zum Leben gehörten. "Unsere Mitarbeit würde noch mehr Sinn machen, wenn sie auch dazu führt, dass Profis sich trauen mehr zu ihren Brüchen zu stehen."

Mögliches und Unmögliches in der Psychiatrie

Der ärztliche Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Ravensburg-Weissenau, Prof. Dr. Tilmann Steinert, wies auf die Grenzen der Handlungsfähigkeit in der psychiatrischen Therapie hin. Er sprach von der Wirksamkeit psychiatrischer Therapien und vom Einsatz von Psychopharmaka, von ideologischen Vorurteilen in der Behandlung und falschen Annahmen.

Beeinflussen Wissenschaft und Forschung die psychiatrische Versorgung? Antworten darauf lieferte Prof. Dr. Stefan Priebe von der Queen-Mary-Universität London. Am Beispiel der Psychose erläuterte Prof. Dr. Thomas Bock von der Uniklinik Hamburg-Eppendorf, wie sinnvolle und weniger sinnvolle Krisenintervention abläuft, wobei er den Auftrag der Psychiatrie in einen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang stellte.

Von der Vergangenheit in die Zukunft

Einen geschichtlichen Abriss bis in die Gegenwart über die gesellschaftlichen Aufträge an die Psychiatrie lieferte Prof. Dr. Marietta Meier, Historikerin an der Universität Zürich. Und einen Blick in die Zukunft warf Michael Steiner, Projektleiter "Gemeinsame Gesundheitsversorgung BL/BS" in der Baselbieter Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektion. Derzeit laufen die Arbeiten für eine gemeinsame Spitalliste Psychiatrie der beiden Kantone, die 2024 in Kraft treten soll. Später sollen auch die ambulanten und stationären Angebote stärker vernetzt werden.

Kontakt

Prof. Dr. med.
Matthias Jäger
Direktor Erwachsenenpsychiatrie
Chefarzt Privatklinik