Sexuelle Übergriffe auf Kinder fordern alle Therapeutinnen und Therapeuten. Dabei haben sie es oft mit hoch-konflikthaften Familien zu tun und die Beweislage ist nicht eindeutig.

In der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) der Psychiatrie Baselland sind wir die Auseinandersetzung mit intensiven Emotionen gewohnt. Aber häufig übertrifft die Intensität der Emotionen das Gewohnte, wenn die Eltern oder Bezugspersonen von einem sexuellen Übergriff auf ihr Kind berichten. Ohne einschlägige Kenntnisse und ohne die Möglichkeit, das eigene Handeln in einem Team strukturiert und zielgerichtet zu reflektieren, kommen auch ausgebildete Therapeutinnen und Therapeuten leicht ins Agieren. Sie sind nicht gefeit davor, ihre professionelle Haltung zu verlieren, sondern reagieren zuviel oder zuwenig stark. In diesem emotionalen Spannungsfeld bewegt sich unser Team der Spezialsprechstunde «Sexuelle Übergriffe».

Beweise oder nur ein Verdacht

In der KJP haben wir es immer mit den vielfältigsten Ausgangslagen zu tun. Selten bestätigt die rechtsmedizinische Beweislage den zuvor ausgesprochenen Verdacht. Oft sind aus unterschiedlichen Gründen keine objektivierbaren Befunde für einen Übergriff (mehr) vorhanden. Trotzdem besteht der Verdacht, und Äusserungen der Kinder werden von den Bezugspersonen zur Bestätigung des eigenen Bildes über den vermeintlichen Täter herangezogen.

Diese unterschiedlichen Ausgangslagen müssen wir berücksichtigen. «Es ist ein grosser Unterschied, ob das Kind weiterhin gefährdet ist oder ob es vor weiteren Übergriffen geschützt ist.», so Dr. med. Brigitte Contin, Direktorin Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ist bereits eine Anzeige erfolgt? Gibt es ein abgeschlossenes oder noch laufendes Strafverfahren? Wer ist bereits involviert?

Empfehlung: Anzeige oder Abklärung

Nach reiflicher Evaluation der uns präsentierten Ausgangslage in unserer Fachrunde empfehlen wir je nach Situation eine Anzeige oder eine vertiefte Abklärung und Begleitung bei uns. Ergeben sich Hinweise auf einen möglichen Übergriff auf das Kind, beraten wir die Eltern, ob sie die vermeintliche Täterschaft anzeigen sollen oder nicht.

Übergriffe in hoch-konflikthaften Familien

Ein leider nicht seltener Spezialfall ist der Verdacht auf sexuelle Übergriffe in hoch-konflikthaften Familien: Sind die Eltern nach einer Trennung zerstritten und ist das gegenseitige Vertrauen auf dem Tiefpunkt, kommt es vor, dass sogar ein sexueller Übergriff des Expartners für möglich gehalten wird. Ob die Schilderung des Kindes erlebnisbasiert, also glaubhaft ist, versuchen wir in unseren Abklärungen einzuschätzen. Eine grosse Rolle spielen hier der Stand der emotionalen Entwicklung des Kindes, sein Wortschatz, die Dynamik zwischen den Eltern sowie äussere Einflüsse durch Kindergarten oder Schule. Schutz vor möglichen weiteren Übergriffen könnte in solchen Fällen ein begleitetes Besuchsrecht für das Kind bieten. Dieses könnte aber auch den angeblichen Täter vor allenfalls ungerechtfertigten weiteren Vorwürfen schützen