Eine Abhängigkeitserkrankung kommt selten allein


Die Therapie von Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung ist komplex, da oft nicht nur die Suchterkrankung behandelt werden muss. Der Grossteil der Betroffenen greift zu Suchtmitteln, um seine psychischen Probleme zu bewältigen und zu kontrollieren. Diese entstehen meistens durch traumatische Erlebnisse in der Kindheit oder Jugend.
Abhängigkeitserkrankungen sind häufig mit anderen Erkrankungen assoziiert. Neben affektiven Störungen und Angsterkrankungen sind hier besonders Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD), ADHS und Persönlichkeitsstörungen aufzuführen. Wir wissen, dass 70 bis 90 Prozent der abhängigkeitserkrankten Menschen schweren Traumatisierungen ausgesetzt waren oder sind. Diese müssen nicht zwingend das Vollbild der PTSD zur Folge haben.
Doppelte Herausforderung
Frühe und wiederholte Traumatisierung in Kindheit und Jugend kann in der weiteren Entwicklung zu Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen führen. Suchtmittelkonsum wird dann funktional eingesetzt, um Ängste, Anspannungen, Dissoziation zu kontrollieren oder zu lindern. Die Herausforderung unserer Patientinnen und Patienten besteht darin, sowohl die psychische Erkrankung als auch die Suchterkrankung zu überwinden oder zu bewältigen.
Chronischer Suchtmittelkonsum – dies gilt auch für Verhaltenssüchte – führt zu Veränderungen des Stressverarbeitungssystems im Gehirn. Vergleichbar mit einer Angsterkrankung oder eine PTSD wird die Symptomatik durch subcorticale neurohumorale Mechanismen aufrechterhalten. Die klinischen Kardinalsymptome Craving (das unwiderstehliche Verlangen) und Kontrollverlust lassen sich daher nur sehr schwer willentlich beeinflussen.
Entzug sollte suchttherapeutisch begleitet werden
Während bei der PTSD die aversiven Reize nicht vergessen werden können, bleiben bei Suchterkrankungen die positiven Stimuli gespeichert. Dies führt unter anderem zur Aufrechterhaltung des Suchtverhaltens. Das Verständnis über diese Zusammenhänge macht deutlich, dass ein körperlicher Entzug oder eine stabile Substitution suchttherapeutisch begleitet werden sollte.
Umfassendes Angebot für Behandlung
Abhängigkeitserkrankte Menschen müssen sich zur Therapie motivieren, sich mit Selbst- und Fremdstigmatisierung auseinandersetzen und sich auf eine alternative Lebensgestaltung einlassen. Dieser Prozess sollte durch ein passendes therapeutisches Angebot unterstützt werden, indem neben der suchttherapeutischen und psychosozialen Behandlung auch die komorbiden psychischen und somatischen Erkrankungen mitbehandelt werden. Das interdisziplinäre therapeutische Angebot der Ambulatorien für Abhängigkeitserkrankungen der Psychiatrie Baselland umfasst daher auch spezifische Therapien für Menschen mit „ADHS und Sucht“ sowie „Sucht und Trauma“.
Vertrauen aufbauen braucht Zeit
In den letzten Jahren hat sich bei der Behandlung einer komorbiden Traumafolgestörung ein Paradigmenwechsel vollzogen. Heute wird eine frühe diagnostische Abklärung und eine spezifische traumaspezifische Therapie empfohlen. Dennoch kann der Vorbereitung auf eine traumaspezifische Intervention ein langwieriger therapeutischer Prozess vorausgehen, bis die Betroffenen ausreichend Vertrauen in die therapeutische Beziehung und eine positive Selbstwirksamkeit aufgebaut haben.
Die diagnostische Abklärung einer ADHS ist bei begleitendem Suchtmittelkonsum erschwert. Besonders problematisch ist die differentialdiagnostische Abklärung von Abhängigkeitserkrankungen bei Psychostimulantienmissbrauch (Kokain, Ritalin u.a.) mit und ohne ADHS.
Vorsicht vor Missbrauch
Bei der medikamentösen Verordnung von Psychostimulantien muss darauf geachtet werden, dass im Sinne einer „harm reduction“ die verordneten Psychostimulantien nicht missbräuchlich verwendet werden und mögliche Risiken den Nutzen überwiegen. Im Rahmen von supportiven Behandlungen werden Patientinnen und Patienten unterstützt, ihre alltäglichen Herausforderungen trotz Krankheit besser zu bewältigen.
Abhängigkeitserkrankungen haben oft lange Verläufe. Rückfälle sind Teil der Krankheit und müssen im Behandlungsprozess berücksichtigt werden ohne sie als Scheitern zu bewerten. Das persönliche soziale Umfeld ist meist stark mitbetroffen und kann im Behandlungsverlauf eine wichtige Unterstützung sein. Haus- und Fachärzte, sowie Klinikärzte haben die zentrale Aufgabe, Patienten und Patientinnen wertfrei und empathisch in ihrer Motivation zur Suchtbehandlung zu unterstützen und immer wieder von Neuem zu bestärken, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen.